Bedenkenswertes, Kurioses und Vergnügliches auf der letzten Braunfelser Synode
Wetzlar-Niedergirmes (bkl). Auf eine Reise durch die vergangenen Jahrzehnte mit Blick in die Zukunft ist Superintendent Roland Rust in seinem letzten Jahresbericht über den Evangelischen Kirchenkreis Braunfels gegangen. Wehmütig und gleichzeitig zuversichtlich zeigte sich hier nicht nur der leitende Theologe bei der Kreissynode im Nachbarschaftszentrum Niedergirmes. Dies auf dem Hintergrund, dass die Kirchenkreise Wetzlar und Braunfels sich zum 1. Januar 2019 zum „Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill“ vereinigen werden.
Sich auf die Wurzel, den Glauben an Jesus Christus zu besinnen, dazu rief Rust die 67 Synodalen aus den 32 Kirchengemeinden auf.
Dabei legte der Theologe von der Beschreibung des kirchlichen Widerstandes im Nationalsozialismus bis zur Situation der Flüchtlinge heute anschaulich dar, dass seit 1932 viele Themen in Kirche und Gesellschaft sowie in der Auseinandersetzung zwischen beiden auch heute noch aktuell sind: die vielen gehetzten Menschen in der Kirche ohne Zeit für Stille und Gebet, der Sonntagsschutz, Kriegserfahrungen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, der zunehmende Antisemitismus, die Not der Geflüchteten. Rust kritisierte insbesondere, dass Schiffe mit geretteten Flüchtlingen in europäischen Häfen abgewiesen werden. Das Eigeninteresse werde heute in ganz neuem Ausmaß an die erste Stelle gesetzt, klagte der leitende Geistliche und fragte auch mit Blick auf seine Kirche: „Sich auf den Anstand besinnen, die Kunst des Zuhörens und des Verstehens üben und zur Zeit kräftig widersprechen – sind wir dazu als Gemeinde Jesu in der Lage?“ Dass die Menschen im Kirchenkreis Braunfels durch die Jahrzehnte hindurch gleichzeitig fromm und weltzugewandt unterwegs gewesen seien, konstatierte Rust und sieht darin auch eine Zukunftsperspektive für den neuen Kirchenkreis: „Geht mit offenen Augen aktiv durch unsere Zeit und lasst euch überraschen, welche Blüten der Menschenfreundlichkeit, der Lebensfreude und des Trostes euch und den Menschen daraus erwachsen.“
Unterbrochen wurden die Tagesordnungspunkte der Synode wie die Aussprache über Superintendenten-, Gemeinde- und Synodalberichte immer wieder von Impulsen eines Vorbereitungsteams aus Pfarrer Marcus Brenzinger (Werdorf), Pfarrer Dr. Hartmut Sitzler (Kröffelbach), Heidi Stiewink (Wetzlar) und Pfarrerin Hildegard Twittenhoff (Nauborn).
So hörten die Synodalen von einem Kirchenkreis, dessen Geschichte in der Synode von Hungen 1582 wurzelt, geprägt von der Aufmüpfigkeit seiner Mitglieder und weltweitem partnerschaftlichen Engagement, in dem es kuriose Kirchengebäude gibt, schräge Pfarrvögel, mutige Frauen und „Erweckte“.
Da traten im Dreißigjährigen Krieg Menschen in den „Taufstreik“ und brachten erst ihre Kinder in die Kirche, als wieder reformierte Pfarrer anstelle der katholischen eingesetzt wurden. Diese und andere Schlaglichter aus der Geschichte des Kirchenkreises präsentierte Pfarrer Dr. Hartmut Sitzler. „Noch heute ist unsere Synode keine Abnickveranstaltung“, erklärte der Theologe, „die Freiheit, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, sollten wir uns auch im neuen Kirchenkreis erhalten.“
Ruhestandspfarrer erzählten von ihrer Wehrdienstverweigerung und Beteiligung an Friedensgottesdiensten am Atomwaffenlager in Bellersdorf Anfang der 90er Jahre, jüngere Pfarrpersonen von ihrer Sorge angesichts der globalen politischen Lage.
„Wir müssen als Christen den Mund aufmachen und Farbe bekennen!“ forderte Schulpfarrer Ulrich Müller aus Rechtenbach.
Heidi Stiewink (Wetzlar) stellte die Geschichte der ökumenischen Partnerschaften mit Botswana, Indonesien, Burkina Faso und Erfurt dar, getragen vom tatkräftigen Einsatz oft weniger Ehren- und Hauptamtlicher. „Es gilt auch für den neuen Kirchenkreis: ‚Habt ihr genug Liebe für die Partnerschaften?’“, fragte die Tikato-Vorsitzende.
Von einsatzfreudigen Frauen im Kirchenkreis berichtete Pfarrerin Twittenhoff: Frau Theutbirg, die der Basilika bei Nauborn den Namen gegeben hat, Friederike Fliedner aus Braunfels, Vorsteherin des ersten Diakonissen-Mutterhauses in Kaiserswerth oder Anni Keller, die 33 Jahre als „Bibelfrau“ im Kreisverband der Frauenhilfe tätig war. Auch über die Geschichte der Erweckungsbewegung von der Gründung der ersten Gemeinschaften an hörten die Synodalen. „Die Gemeinschaften, beziehungsweise ‚Evangelischen freien Gemeinden’ gehören längst zum ökumenischen Umfeld unserer Gemeinden“, sagte Twittenhoff.
Und auch Vergnügliches gab es: Marcus Brenzinger ließ die Synodalen mit einem fantasievollen Quiz raten, welche Kirche kein Dach hat, in welcher per Schriftzug an der Wand zum entschlossenen Widerstand aufgerufen wird und in welche der Blitz einschlug. Weiter berichtete er von ehemaligen Pfarramtsinhabern und Synodalältesten und ihren Eigenheiten. So schaffte es ein Geistlicher, das laufende Werdorfer Mühlrad anzuhalten, verstarb jedoch kurz darauf mit nur 31 Jahren. Ein anderer war ganze 64 Jahre im Amt.
Im Blick auf die Kirchensteuerverteilung und Finanzausgleichsregelung für die Jahre 2020 bis 2022 beschlossen die Synodalen, das alte System bis 2022 beizubehalten. Für die Jahre 2023 bis 2027 wird für den Kirchenkreis an Lahn und Dill ein gemeinsames Übergangsmodell entwickelt mit dem Ziel einer Verteilung der Finanzmittel ausschließlich nach Gemeindegliedern.
Begonnen hatte die Synode mit einem Abendmahlsgottesdienst in der Christuskirche. In einer Predigt mit Spielszene zu Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 42, stellten Pfarrer Marcus Brenzinger, Heidi Stiewink und Pfarrerin Hildegard Twittenhoff dar, worum es bei Kirche geht: Mit der Bibel als Grundlage die Botschaft wie ein mit einem Spiegel eingefangenes Licht weitergeben, sich selbst und anderen helfen, auch mal den Blickwinkel zu verändern und mit allen Schwächen und Fehlern vor Gott eine Gemeinschaft bleiben. So, wie sie auch im Abendmahl deutlich wird. „Mit dem Gebet machen wir deutlich, dass nicht unsere Ideen für die Zukunft unserer Kirche entscheidend sind, sondern dass Gott es ist. Wir legen unsere Kirche in seine Hände.“, so Pfarrer Brenzinger.
Die Liturgie gestaltete Ortspfarrerin Ellen Wehrenbrecht. Die musikalische Begleitung hatten Karin Bremer an der Orgel und die Pfarrerband mit Armin Kistenbrügge (Trompete), Michael Perko (Flügel) und Hartmut Sitzler (E-Gitarre) übernommen.
Ein Grußwort für die Stadt Wetzlar sprach Stadtrat Manfred Viand.